Niemand kauft gerne die Katze im Sack.
Gerade bei Büchern kann es vorkommen, dass der Klappentext noch so interessant klingt, aber man einfach nicht mit dem tatsächlichen Schreibstil des Autors warm wird. Oder umgedreht ist man sich beim Klappentext noch unsicher, ob das wirklich die Art von Roman ist, die man gerne liest. Aber dann bekommt man eine Leseprobe in die Finger und kann mit dem Lesen gar nicht mehr aufhören. Man hat Blut geleckt und will unbedingt wissen, wie es weiter geht.
Ja, man möchte gern wissen, was einen erwartet. Das verstehe ich nur zu gut, bin ich doch schon selbst oft genug mit der Wahl meines Lesestoffs herein gefallen.
Darum lasse ich die Katze für euch aus dem Sack und wünsche euch viel Vergnügen!
Leseprobe “Der Funke des Phönix – Teil 1”
Malyara erwachte von dem Geräusch eines Schlüssels, der in seinem Schloss gedreht wurde. Sie setzte sich kerzengerade auf und sah entsetzt, dass sie eine Seite des Kodexes umgeknickt hatte, als sie darauf eingeschlafen war.
Hastig versuchte sie, das uralte Pergament zu glätten und rieb sich den Schlaf aus den brennenden Augen. Die mittlerweile dritte Kerze war bereits erloschen und das erstarrte Wachs bildete bizarre Formen auf der Oberfläche des alten Tisches. Graues Zwielicht fiel durch das kleine Fenster.
Malyara hatte im Laufe der letzten achzehn Stunden den Großteil ihrer Rüstungsteile abgelegt. Dennoch taten ihr alle Muskeln weh und sie fühlte sich so steif wie ein Toter. Zu allem Überfluss fror sie trotz Rüstwams elend in ihren ansonsten dünnen Gewändern in dem unbeheizten Raum, den die Sonne nicht erwärmte. Die Müdigkeit ließ sie die Kälte nur noch deutlicher in ihren Gliedern spüren.
Sie hatte von ihrer Mutter geträumt. Und danach wieder den verstörenden Alptraum voller unheilvoller Gestalten, Schreie und Blut. Der Traum, in dem sie das Gefühl hatte, dass jeden Moment etwas Schreckliches geschehen würde, wenn sie nur einen falschen Schritt täte. Der Traum war wirr und hektisch gewesen und ließ Malyara wie immer mit einem unangenehmen Gefühl drohenden Unheils zurück.
Mit klappernden Zähnen und mühsam die Augen offen haltend saß sie da, als die Tür sich öffnete und der Neuankömmling den Raum betrat. Es war Elenthúr. Er lächelte sie freundlich an.
„Hattest du ein paar interessante Stunden?“, fragte er ohne eine Spur von Sarkasmus.
„Ja“, wollte Malyara beginnen, räusperte sich aber schnell, nachdem sie merkte, wie belegt ihre Stimme war. „Ja, Herr.“
„Das freut mich.“ Er trat näher zu ihr und warf einen prüfenden Blick auf den Folianten. „Ah, du bist sogar recht weit gekommen, wie ich sehe. Löblich, löblich.“
Malyara nickte nur matt und griff durstig nach dem irdenen Krug, der neben ihr auf dem Tisch stand. Doch dieser war bereits leer.
„Dann wollen wir keine Zeit verlieren“, verkündete der Erste Ritter und deutete auf Malyaras Rüstungsteile, die chaotisch im Raum verteilt lagen. „Zieh deine Rüstung an, wir werden gleich mit den Kampfübungen beginnen.“
„Kampfübungen?“, krächzte Malyara ungläubig und blinzelte verschlafen.
„Kampfübungen“, bestätigte Elenthúr gut gelaunt. Im Gegensatz zu Malyara hatte er offenbar ausgezeichnet geschlafen. „Also, rüste dich.“
Es dauerte eine Weile, bis die Bedeutung dieser Worte in ihren übermüdeten Verstand sickerten. Schwerfällig erhob sie sich und beugte sich zu ihren Beinschienen hinab, die gleich neben dem Stuhl lagen.
Es fiel ihr schwer, die Rüstung anzulegen. Ständig musste sie ein Gähnen unterdrücken und heftig blinzeln, um wieder etwas zu sehen. Beim Brustpanzer verwechselte sie sogar zwei Schnallen miteinander, wodurch ihr die Rüstung vollkommen schief am Leib hing. Sich im Stillen für ihre eigene Dummheit scheltend korrigierte sie diesen Fehler hastig. Quyntin wäre bestimmt eine passende Bemerkung voller blumiger Schimpfworte dazu eingefallen.
Elenthúr aber beobachtete sie schweigend und gelassen dabei.
Jetzt, nachdem sie eine Weile wach war, kehrte auch der nagende Hunger zurück und Schwindel überkam sie. Aber sie biss die Zähne zusammen und klagte nicht.
Als sie schließlich vollständig und halbwegs passabel gerüstet war, klatschte Elenthúr einmal laut in seine gepanzerten Hände und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Malyara folgte ihm.
Sie fühlte sich unsicher und zittrig auf den Beinen, als sie versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Durch den Schleier, den die Müdigkeit über sie geworfen hatte, erkannte sie vage, dass sie wohl den gleichen Weg zurückgingen, den sie am Tag zuvor gekommen waren.
Das Domizil lag still da und einzig die Wachtposten ließen erahnen, dass es außer Elenthúr und ihr noch andere lebende Serheney hier gab.
Sie passierten den Ziergarten und allmählich wurde Malyara bewusst, dass sie den Weg zum Übungsplatz einschlugen.
Natürlich, dachte sie, wo sollten wir auch sonst die Kampfübungen abhalten …
Oh, Kampfübungen! Sie stöhnte innerlich. In ihrer momentanen Verfassung fühlte sie sich alles andere als bereit für so etwas. Wieso durfte sie nicht vorher etwas essen? Oder wenigstens einem Ruf der Natur nachkommen – ihre Blase schien kurz vorm Bersten zu sein.
Als sie in die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne hinaustraten, erwartete Malyara, den Übungsplatz verlassen vorzufinden. Stattdessen blinzelte sie überrascht, als sie sah, dass der hölzerne Zaun des Ringes von dutzenden von Elfen bemannt war, die nur auf sie zu warten schienen. Gegen das Licht der aufsteigenden Sonne konnte sie nichts weiter als dunkle Silhouetten erkennen.
Elenthúr betrat ohne zu zögern den Kampfring und bezog Position auf der Malyara gegenüberliegenden Seite.
Zögernd folgte sie ihm. Ein Raunen und Murmeln ging durch die Reihen der Elfen. Allmählich konnte sie einige der Gesichter erkennen, die sie anstarrten. Es waren allesamt Rekruten, mit denen sie bisher gelebt und trainiert hatten, unter ihnen auch Erial. Ihre Gesichtsausdrücke waren schwer zu deuten. Verachtung, Neid, Missgunst, Schadenfreude, Hass, sie wusste es nicht.
Sie erkannte auch Drillmeister Quyntin in der Menge, der sie erwartungsvoll beobachtete.
Irgendwie hatte Malyara das unangenehme Gefühl, als wäre sie ein Schaf, das unter den blutdürstigen Blicken hungriger Wölfe gehorsam zur Schlachtbank trottete. Dieser bedrückende Gedanke setzte sich hartnäckig in ihrem Kopf fest, und sie musste sich dazu zwingen, ruhig zu atmen.
Der Erste Ritter zog sein Schwert, dessen schlanke und mit filigraner Schrift gravierte Klinge einige Sonnenstrahlen auffing. Er machte eine auffordernde Geste.
Zaghaft zog auch Malyara ihr schartiges Übungsschwert aus der ramponierten, schmucklosen Scheide an ihrem Gürtel und stellte sich unsicher in Kampfhaltung auf.
„Was ist die wichtigste Eigenschaft eines jeden Blutwächters?“, fragte Elenthúr unvermittelt und sie blinzelte ihn verwirrt und verständnislos an.
Ohne Vorwarnung stürmte er auf sie zu und schlug nach ihr. Im letzten Moment gelang es der überrumpelten Malyara, instinktiv ihre Klinge hoch zu reißen, und den Hieb abzulenken. Doch der Schwung war so gewaltig, dass sie heftig zurück taumelte und ihr Arm taub wurde. Ein lautes Geräusch ging durch die Reihen der Zuschauer, ein halb erstaunter, halb belustigter Aufschrei.
Der darauf folgende Schlag war so heftig, dass sie einfach von den Beinen gerissen wurde und in den Staub stürzte. Elenthúr baute sich als schwarzer Schatten über ihr auf, der die aufgehende Sonne verdeckte.
„Disziplin.“ Mit diesem Wort hielt er ihr die gepanzerte Hand hin. Immer noch überrascht starrte Malyara mehrere Lidschläge lang auf den reich verzierten, blau-goldenen Plattenhandschuh. Dann ergriff sie ihn und ließ sich wieder aufhelfen.
Elenthúr lächelte sie freundlich an.
„Also?“, fragte er.
„Disziplin, Herr“, antwortete Malyara pflichtbewusst.
Der Erste Ritter nickte, wandte sich von ihr ab, ging ein paar Schritte und drehte sich ihr dann wieder zu.
Malyara nahm erneut unsicher Kampfhaltung an. Ihr Arm tat immer noch weh. Das hier war so ganz anders als alle Übungskämpfe, die sie je gegen ihre Mitrekruten bestritten hatte.
„Welche anderen Eigenschaften werden noch von einem Blutwächter erwartet?“
Diesmal war Malyara auf den Angriff vorbereitet, doch der Mangel an Schlaf und Nahrung verlangsamte ihre Reaktion erheblich, sodass sie Elenthúrs Schwert nur streifte und den Schlag so umlenkte, dass er ihr eine tiefe Kerbe in die linke Schulterplatte schlug. Sofort zuckte der Schmerz des Aufpralls durch ihre Schulter und dann wurde auch diese taub. Tränen traten ihr in die Augen und sie konnte ein Aufkeuchen nicht unterdrücken.
Die Übungsrüstungen der Rekruten waren nicht dafür konzipiert, in einer tatsächlichen Schlacht bestmöglichen Schutz für den Träger zu bieten. Im Gegenteil war es sogar erwünscht, wenn der Schüler bei einem Treffer ein gewisses Maß an Schmerz erlitt. Die Ausbilder waren davon überzeugt, dass Schmerz der beste Lehrmeister sei, um den Rekruten das Ausweichen anzutrainieren.
Dies bekam Malyara jetzt wieder deutlich zu spüren, nachdem sie so lange Zeit keinen ernstzunehmenden Treffer mehr von einem Kontrahenten hatte hinnehmen müssen.
„Also?“ Elenthúr führte einen weiteren Hieb aus, der ihr das Schwert aus der Hand schlug, das wirbelnd durch die Luft flog und gut sechs Schritte von den beiden entfernt vibrierend im Boden stecken blieb. Die Menge johlte laut.
Schmerz pochte durch ihr Handgelenk und Malyara versuchte fieberhaft, sich an das Gelesene aus dem Kodex und die Worte Quyntins zu erinnern. Doch der Hunger benebelte ihren Verstand. Nur eines fiel ihr auf die Schnelle ein.
„Selbst-“, keuchte sie schmerzerfüllt und hielt sich das rechte Handgelenk, „Selbstbeherrschung!“.
Elenthúr trat einen Schritt zurück und hob die Hand, woraufhin die schreienden und jubelnden Rekruten schlagartig verstummten.
„Und weiter?“, wollte er mit sanfter Stimme wissen.
Malyara atmete schwer und starrte auf den Boden. Auch wenn die anderen keinen Laut mehr von sich gaben, so war sie sich ihrer bohrenden, höhnischen Blicke nur zu gut bewusst. Diese Schande. Diese Schmach! Hier, vor all ihren Kameraden wurde sie derart bloßgestellt. Sie kämpfte wie ein kleines Kind. So als stünde sie gerade erst am Anfang ihrer Ausbildung, statt einer der besten Rekruten ihrer Generation zu sein.
Ihr war bewusst, dass der Erste Ritter ihr selbst in wachem und gesättigtem Zustand mit seiner Kampfkunst weit überlegen sein musste. Aber so, wie sie hier zitterte und sich kaum auf den Beinen halten konnte, ja, nicht einmal einen wirklich klaren Gedanken zu fassen oder sich auf ihr Schwert zu konzentrieren vermochte, war sie ihm nahezu hilflos ausgeliefert.
Und alle anderen Rekruten sahen ihr dabei zu, wie sie hier gedemütigt wurde. Eine unbändige Wut über diese Ungerechtigkeit stieg in ihr auf. Sie ballte die gepanzerten Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder. Doch sie sprach mit ruhiger Stimme.
„Gehorsam.“
„Und?“
„Pflichtbewusstsein …“
Elenthúr umschritt sie langsam und bedächtig, bis er schließlich bei ihrem Schwert angelangt war. Er zog es aus dem Boden, ging zu Malyara und reichte es ihr mit dem Heft voran.
Sie zögerte und machte keine Anstalten, danach zu greifen. In seinem Blick lag etwas Aufforderndes.
„Loyalität, mein Herr.“ Erst jetzt griff sie nach der dargebotenen Waffe und der Erste Ritter ließ es zu. Er trat wieder einige Schritte zurück und nahm erneut Kampfhaltung ein.
Ein schadenfrohes, aber auch erwartungsvolles Raunen ging durch die Zuschauer. Sie warteten auf die nächste Demütigung, war Malyara klar.
„Kannst du dir sonst noch etwas dazu ins Gedächtnis rufen?“, wollte Elenthúr wissen.
Sie zermarterte sich das Hirn, aber ihr wollte einfach nichts mehr einfallen. Sie wusste, dass es da noch einiges gab, aber sie bekam die Begriffe einfach nicht zu fassen. Schließlich senkte sie wieder den Blick und ließ schicksalsergeben und enttäuscht von sich selbst die Schultern hängen.
„Nein, Herr …“
Der Erste Ritter nickte leicht und scheinbar bedauernd. Dann griff er wieder an.
Malyara versuchte sich verzweifelt der kraftvollen und präzise geführten Hiebe zu erwehren, und es gelang ihr sogar, einige zu parieren, auch wenn ihr Arm dadurch nur noch mehr erlahmte und sie schon fast kein Gefühl mehr darin hatte.
„Treue!“, rief er, als er den nächsten Schlag platzierte, der Malyara ins Taumeln geraten ließ. „Stärke!“ Noch ein Schlag. Malyara biss die Zähne zusammen, um nicht laut zu schreien, als der Schmerz durch ihren ganzen Arm schnellte. „Respekt! Mut! Ehre! Opferbereitschaft!“ Ein Hieb folgte dem anderen, und als er das letzte Wort ausrief, drehte sich Elenthúr mit erstaunlicher Schnelligkeit um seine eigene Achse, tänzelte dabei hinter die schwankende Malyara und trat ohne hinzusehen nach hinten in ihre rechte Kniekehle.
Als hätte man einer Marionette die Fäden durchgeschnitten, ging sie in die Knie und schlug schwer auf dem staubigen Boden auf. Mit einem einzigen eleganten Schritt stand er wieder vor ihr und hielt ihr die blitzende Spitze seines Schwertes vors Gesicht.
Malyara, die sich im ersten Moment mit den Händen abgestützt hatte, um den Sturz abzufangen, richtete sich nun so weit auf, dass sie sich in einer knienden Haltung befand, und sah zu Elenthúr auf.
„Doch all diese Tugenden wären nichts ohne die Wichtigste von allen – Demut.“ Er schenkte ihr ein väterliches Lächeln.
Sie schluckte und senkte schwer atmend und mit Tränen der Wut und des Schmerzes in den Augen den Kopf.
Die Menge tobte und johlte. Sie alle verlachten Malyara, und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte. Die Pein, die sie bei dieser Schmach empfand, war sogar noch weit schlimmer als der physische Schmerz, der heftig durch ihren Schwertarm und die Knie pochte. Sie wäre am liebsten im Boden versunken. Vor Hilflosigkeit und brennendem Zorn rannen ihr die Tränen die Wangen hinab.
„Ja, Herr …“, brachte sie leise hervor.
Das schien ihm zu genügen. Er trat einen Schritt zurück und wandte sich der immer noch schreienden und jubelnden Menge zu.
„Rekruten des Hauses Feuerschwinge!“, rief er und die Elfen verstummten sofort. „Dies war eine Lektion. Nicht nur für Malyara hier. Sondern für euch alle! Beherzigt sie! Verinnerlicht sie! Übt euch in Demut! Denn jeder einzelne von euch kann weit tiefer fallen, als er es je für möglich gehalten hätte …“
Damit wandte er sich wieder Malyara zu, die noch in der gleichen Haltung am Boden kniete. Die Zuschauer schwiegen betreten.
„Malyara, mein Kind“, sprach Elenthúr sie mit sanfter Stimme an und sie hob den tränenverschleierten Blick. Er lächelte sie aufrichtig an und bot ihr erneut seine Hand an.
Dankbar griff sie danach und er zog sie kraftvoll auf die Beine und klopfte ihr auf die linke Schulterplatte. Sie drohte einzuknicken, als das verletzte Knie unter ihrem Gewicht nachgab, doch er legte sich ihren linken Arm über die Schulter und stützte sie.
Ohne ein weiteres Wort verließen sie den Übungsplatz, über dem die Sonne mittlerweile bereits kraftvoll strahlte, und nur die Blicke der Rekruten und deren Schweigen begleitete sie.